Yeah, endlich mal wieder ein Riss im befriedeten, universitären Kontext: Seit dem 20.06.2016 befinden sich Mitarbeiter*innen des Jenaer CATI (Computer Assisted Telephone Interview) – Labors in einer kämpferischen Auseinandersetzung mit ihrer Arbeitgeberin: der Universität Jena. Gemeinsam mit der Freien Arbeiter*innen Union (FAU) Jena/Erfurt streiten sie gegen die Unterwanderung arbeitsrechtlicher Mindeststandards, welche derzeit in den Beschäftigungsverhältnissen angelegt ist. Statt Werkverträgen, die eine Scheinselbstständigkeit der im Labor Beschäftigten zur Folge haben, fordern sie reguläre Arbeitsverträge und damit die Umsetzung geltenden Arbeitsrechts. Wir begrüßen es, dass die CATI-Mitarbeiter*innen in den Arbeitskampf getreten sind.
Reiche Eltern für Alle!
Der Labour-Struggle bringt nicht nur unakzeptable Arbeitsbedinungen auf die Tagesordnung, sondern die prekäre Lebensrealität von Studierenden an sich. Als würde das Hamsterrad des Bachelor-Master-Systems nicht schon reichen, müssen nicht wenige neben dem zeitintensiven „Studium Totale“ noch einen Nebenjob annehmen, um ihren Lebensbedarf und die in Jena teils horrenden Mieten bezahlen zu können. Wer nicht das Glück hat Kind reicher Eltern zu sein oder ein Stipendium zu erwerben ist auf staatliche Unterstützung in Form von Bafög angewiesen – und muss meist trotzdem zusätzlich arbeiten gehen! Die offiziellen Unterstützungsleistungen unterliegen schließlich sehr knappen Berechnungsgrundlagen und werden bei den kleinsten bürokratischen Mängeln gekürzt oder ausgesetzt, was für viele Bezieher*innen heißt: Ein zusätzlicher Job neben dem Studium ist Muss! Auch Studierende, die von ihren Eltern (teil)finanziert werden sind auf Nebenjobs angewiesen und unterliegen dem Druck zusätzlich Geld zu verdienen, wenn sie den Verwandten nicht auf der Tasche liegen wollen. Gerade in dieser Situation haben viele kaum die Option, sich die Jobs aussuchen zu können, da Arbeits- und Vorlesungszeiten irgendwie zusammen passen müssen oder z.B. die Anfahrt nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen darf. Diese Situation führt oft zur Annahme prekärer Arbeitsverhältnisse und verschafft vielen Arbeitgeber*innen die Möglichkeit diese Zwangssituation ausnutzen zu können, schließlich können sie durch die Einstellung von Studi-Jobber*innen statt qualifizierter Arbeitskräfte einiges an Kosten sparen. Neben der notwendigen Forderung nach regulären Beschäftigungsverhältnissen für Studierende, stellt sich also auch die Frage, wie eine Finanzierung des Studiums unahängig von Eltern und Nebenjob aussehen kann (bspw. durch elternunabhängiges Bafög), wie also ein gleichberechtigter Zugang zu Bildung für Alle realisiert werden kann. Deshab: Aus der Uni auf die Straße!
Fight where you stand!
Wir sollten in unserem eigenen Leben dort konkret kämpfen, wo wir uns mit diesen Widersprüchen und Einschränkungen konfrontiert sehen, aus der Position Studierende, genauso wie aus jenem notwendigen Verhältnis als Arbeitende. Der Arbeitskampf am CATI-Labor macht uns diesbezüglich auf etwas aufmerksam, das vielleicht gerade im befriedeten Jena und seiner vermeintlichen Studi-Blase immer wieder allzusehr in Vergessenheit gerät: Es gibt immer die Möglichkeiten zu kämpfen. Der Kapitalismus ist inzwischen in sämtliche Lebensbereiche vorgedrungen ist und sitzt uns in unserem Alltag überall im Nacken. Das heißt aber auch, dass wir ihn genau dort, nämlich in den Bereichen unseres alltäglichen Lebens, überall angreifen können und sollten. Die CATI-Arbeiter*innen führen uns also ein eigentlich nahe liegendes Konzept vor Augen: Um dem Kapital effektiv gegenübertreten zu können, müssen wir uns am Arbeitsplatz, in der Uni, aber auch z.B. beim Wohnen organisieren und so gemeinsam für unsere Interessen eintreten. Es ist jedoch genau diese kämpferische Haltung gegenüber all den Einschränkungen, die wir im Alltag über uns ergehen lassen, die weiten Teilen der Linken (auch uns) derzeit fehlt. Um mit der Akademisierung und der Selbstbezogenheit radikaler Politik zu brechen, sollten wir deshalb wieder mehr auf soziale Kämpfe zusteuern und unseren Alltag zu deren Austragungsort machen. Für eine solche Neuausrichtung gäbe es für uns alle noch viel zu lernen. Der CATI-Labour-Struggle ist dafür vielleicht eine notwendige Inspiration.
Soziologie – Kapitalismus – Kritik¹?
Und noch etwas: Das Jenaer Institut für Soziologie ist bundesweit bekannt als eine der letzten Bastionen kritischer Soziologie und viele Studierende sind sich der gewerkschaftsnahen Ausrichtung einzelner Lehrstühle bewusst. Entsprechend hoch sind die Erwartungen von Seiten linker, kapitalismuskritischer Studis, die jedoch nicht selten enttäuscht werden. Der Wille zu kritischer und emanzipatorischer Positionierung steht auch bei linken Instituten schließlich nicht immer an erste Stelle. Sicherlich: Auch sie sind nicht von den Sachzwängen des Machtraumes Universität gefeit und in Hierarchien und persönlichen Konflikten verwoben. Aber nichtsdestotrotz möchten wir im Fall des Cati-Labors klare Worte finden: Eine antikapitalistische, klassenkämpferische und pro-gewerkschaftlich geprägte Sichtweise, wie sie am Institut für Soziologie gelehrt wird, darf in einer Situation wie der des Cati-Labors nicht einfach kippen und aufgrund persönlicher Betroffenheit in die Arbeitgeber*innenperspektive umschlagen. Wir hätten stattdessen – und tun dies immernoch – von Anfang an eine solidarische Haltung des Instituts erwartet. Also Genoss*innen am Institut: gesteht euch den Fehler vor eurer eigenen Haustür ein und unterstützt den Kampf zur Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse von Studierenden!
¹ So lautet der vielversprechende Titel eines in links-akademischen Kreisen viel gefeierten Buches, welches die drei Lehrstuhlinhaber am Jeaner Institut für Soziologie Klaus Dörre, Hartmut Rosa und Stephan Lessenich (inzwischen in München) 2009 herausgegeben haben.