Nazis laufen, Fackeln brennen, Polizei regelt das
Die Bilanz zu gestern könnte eigentlich schlimmer kaum sein: Angeekelt und wütend mussten wir mit ansehen, wie über 200 Neonazis an Hitlers Geburtstag mit „Juden raus“-Rufen durch Jena zogen. Dass THÜGIDA laufen und ihre Fackeln brennen konnten, sicherte ein erneut maßlos überzogener Polizeieinsatz ab: Die Marschroute war hermetisch abgeriegelt. Pfefferspray, Hunde, Wasserwerfer, bayrische Sonder-Schlägertrupps und Gitter über Gitter konnten bis auf kleine Ausnahmen effektive Blockaden verhindern.
Dennoch: Der Abend verlief für die Neonazis keinesfalls störungsfrei. Ein Kabelbrand an der Bahnstrecke erschwerte zunächst die Anreise. Neben Sprechchören flogen ihnen dann später auch Wasserbomben und Kartoffeln an allen Ecken der Route um die Ohren. Schließlich umstellten über 3000 Gegendemonstrant*innen die Route und machten die Kräfteverhältnisse in der Stadt beeindruckend deutlich.
Repression gegen Antifaschist*innen: 23 verletzt, 6 in Gewahrsam
Das DemoSani-Team meldete über zwanzig Verletze durch Polizeigewalt, darunter mindestens ein tiefer Hundebiss. Sechs Antifaschist*innen wurden in Gewahrsam genommen, bis Mitternacht jedoch wieder freigelassen. Auch auf Seiten der Nazis gab es ca. 25 Festnahmen.
Dass sich die Berichterstattung nun auf Randale, Ausschreitungen und verletzte Polizist*innen stürzt, ist extrem unnötig und wird dem Tagesgeschehen in keinster Weise gerecht. Es lenkt auch mal wieder medientypisch penetrant von der Ernsthaftigkeit der derzeitigen Entwicklungen im rechten Lager und der besorgniserregenden Zunahme neonazistischer Aufmärsche und Gewalt ab. Der Rassismus in Deutschland und die zunehmenden Übergriffe auf Geflüchtete und ihre Wohnorte zurzeit – das ist das „neue Ausmaß an Gewalt“ über das wir reden sollten.
Linker Terror – Here we go again!
Das (vorgeschobene) Tages-Motto der Nazis – „Dem linken Terror keine Stadt mehr“ – erschien im Licht der Situation, die gestern in der Stadt herrschte, ziemlich lächerlich. Mit hunderten gemeinsam umherschweifenden Antifaschist*innen haben wir dem linken Terror freudig Rechnung getragen und uns die nicht vergitterte Rest-Stadt für mehrere Stunden genommen. Die dynamischen und energiegeladenen antirassistischen Spontandemos rauf und runter durch Jenas Straßen waren für viele von uns ein lang vermisster Akt der kollektiven Selbstermächtigung. Unser „Refugees are welcome here“ und das „Nationalismus raus aus den Köpfen“ waren gestern nicht nur lauter als die Nazi-Parolen, sondern strotzten auch vor neuem antifaschistischem Selbstbewusstsein. Besonders schick anzusehen: Der Jugendblock vom Bündnis „Jugend gegen Rechts“, der sich mit einem Erscheinungsbild irgendwo zwischen kreativer Parade, jubelnder Ultra-Kultur und aktionistischer Sponti laut und entschlossen durch die Stadt bewegte.
Es war ein aktionsreicher Tag, am Ende frustrierend und in Anbetracht des laufenden Fackelmobs auch schmerzhaft, aber dennoch keiner, der uns in Ohnmacht versetzt. Es war ein Tag, der uns als Antifaschist*innen auch Kraft gegeben hat und Motivation für die kommenden Auseinandersetzungen und Kämpfe.